Der 8. Mai 1945 fällt als Gedenktag mitten in eine Krise, die für uns alle vor zwei Monaten noch unvorstellbar gewesen ist. Er fällt in eine Zeit, die uns mit der Corona-Pandemie in einer Weise körperlich und seelisch fordert, die anderes in den Hintergrund treten lässt. Vor fünzehn Jahren, im Jahr 2005, wurde in dieser Stadt – und auch im Niedersächsischen Landtag – des 60. Jahrestages des Kriegsendes über Monate hinweg mit vielen Veranstaltungen, Ausstellungen, Vorträgen und Projekten aller Art gedacht. Auch in diesem Jahr waren einige Vorhaben geplant, zwar – warum auch immer – weniger als noch 2005, doch sie alle sind nun gar nicht mehr durchführbar!
Andererseits drängen sich heute angesichts der Belastungen, denen besonders manche Berufsgruppen schon seit vielen Wochen ausgesetzt sind, gewisse Parallelen auf, so wenig vergleichbar die konkrete Lage selbstredend ist. Denn in jenem fernen Winter 1944/45 und den Monaten danach herrschten Zustände, die wir heute kaum mehr nachempfinden können. Wir lesen vom Überlebenskampf in Bombennächten, von Trecks auf der Flucht durch Schlamm und Schnee, von Nächten in Trümmern, Scheunen oder Gräben, von Hunger und Kälte, von Krankeit und Tod. Aber gerade diese letzten beiden Stichworte begleiten uns auch dieser Tage. An vorderster Front im Kampf gegen Covid-19 sehen wir Menschen, die in Kliniken und Altenheimen, in Kitas und Schulen, in Betreuungs- und Rettungseinrichtungen aller Art ihren Dienst tun, und zwar bis zur Erschöpfung. Es sind ganz überwiegend Frauen, die, wie damals auch, eine Kraft und einen Mut entwickeln, verbunden mit der so wichtigen Empathie für Menschen in Not, die uns staunen lässt und Bewunderung abverlangt.
„Die Stunde der Frauen“, so überschreibt der Historiker Christian von Krockow den Bericht aus Pommern aus den Jahren 1944-1947, in dem er Großmutter, Mutter, und Schwester zu Wort kommen lässt. Letztere sagt in der Auseinandersetzung mit ihrem Vater, dem Herrn Major: „O, diese deutschen Männer! Sie sind so tüchtig, einfach fabelhaft…Im Untergang aber, da sind sie auf einmal zu gar nichts mehr nütze, nicht einmal dazu, Spinat zu klauen, und wir, die Frauen können zusehen, wie wir die Kinder satt kriegen…Ich verstehe sie sogar, diese Männer. Man hat sie so erzogen, Generation um Generation. Nur eben: zum Spinat sich bücken und auf dem Bauche zu kriechen fürs schlichte Überleben, ganz ohne Ehre und Amt, dazu taugen sie nicht. Das bleibt dann für uns“.
Derselbe Autor stellt in seinem Buch „Die Deutschen in ihrem Jahrhundert 1890 – 1990“ angesichts der „grimmigen Wirklichkeit“ jener Zeit bei und nach Kriegsende fest: „Im Kampf ums Überleben fiel den Frauen die Hauptlast zu, übrigens im schrillen Kontrast zu der Tatsache, dass ein alliierter Kontrollratsbeschluss das traditionelle, patriarchalische Familienrecht wieder in Kraft setzte, das dem Mann die ‚eheliche Gewalt‘, die Verfügung über Kinder und Vermögen zusprach“. Wie unglaublich das war, wird noch deutlicher durch folgende Feststellung: „Die Frauen hatten die Kinder, die Familien im Feuersturm der Luftangriffe, durch die Schrecken der Flucht, im Chaos des Zusammenbruchs und Neubeginns mit allen ihren Kräften bewahrt; das Überleben im Untergang war in erster Linie ihr Werk. Sie hatten damit zugleich eine Unabhängigkeit und ein Selbstbewusstsein gewonnen wie nie zuvor.“
Dennoch verfestigte sich in den Folgejahren die alte, im Grunde längst überholte Verteilung der Geschlechterrollen, von einigen wenigen Lichtblicken abgesehen. Dazu gehörte vor allem der Kampf um Artikel 3, Abs.2 GG: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“, den die vier Frauen des Parlamemtarischen Rates unter Führung der Juristin Elisabeth Selbert durchsetzten. Diese fragte in einer Rundfunkrede am 19. Januar 1949, einen Tag nach der entscheidenden Abstimmung im Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates: „Wissen überhaupt die meisten Frauen, wie rechtlos sie sind? Wissen Sie alle, Sie Hörerinnen, dass Sie beispielsweise bei jedem Rechtsgeschäft … die Genehmigung des Mannes in jedem Fall brauchen, genau so wie ein Minderjähriger?“ Und sie betont weiter: „… Mein Kampf im neuen staatlichen Leben und ganz besonders bei der Schaffung dieser neuen Verfassung galt daher ganz bewusst der Reform des Familienrechts … Eine große Zahl von weiblichen Abgeordneten muss im neuen Bundestag diese Reform durchführen; mit dem klaren Blick für politische Zusammenhänge müssen sie helfen, das Werk der Befreiung der Frau endgültig zu vollenden“.
Wir alle wissen, wie es damit aktuell aussieht: Zunehmende Angriffe gegen die Emanzipation und Gleichstellung der Frau von rechts, zunehmende Gewalt gegen Frauen in vielen Bereichen, nach wie vor ein niedriges Lohnniveau und ungleiche Bezahlung für gleiche Arbeit, um hier nur einige Aspekte zu nennen. Zumindest folgendes sollten wir aus der Krise dieser Tage, Wochen und Monate lernen – auch mit Blick auf die lebensrettenden Leistungen unzähliger Frauen bei Kriegsende: Es wird Zeit für eine Würdigung und damit einhergehend für eine bessere Bezahlung gerade in den genannten Pflege- und Betreuungberufen, es wird Zeit, ohne Vorbehalte das Phänomen der Gewalt auch in unseren Familien zu sehen, zu benennen und für Abhilfe zu sorgen, etwa durch angemessene finanzielle Förderung und Unterstützung der Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen.
Abschließend sei an eine Aussage des französischen Autors Alexis de Toqueville erinnert (aus „Über die Demokratie in Amerika“) : „ Wenn man mir … die Frage stellte, auf was man nach meinem Dafürhalten den besonderen Wohlstand und die wachsende Kraft dieses Volkes zurückführen müsse, so antworte ich: Es ist die Überlegenheit seiner Frauen“.
Karin Jabs-Kiesler für die AsF Osnabrück