Gedenkveranstaltung zum 100. Geburtstag von Willy Brandt

Am Mittwoch, den 18. Dezember 2013, wäre Willy Brandt 100 Jahre alt geworden. In Erinnerung an diesen herausragenden Politiker und Sozialdemokraten gab es eine Gedenkveranstaltung im Innenhof des Ledenhofes. Dort erinnert eine Miniaturskulptur an den Friedensnobelpreisträger. Nach der Ehrung mit einem Blumengebinde durch die SPD-Unterbezirksvorstände Stadt und Landkreis Osnabrück hielt Prof. Dr. Rolf Wortmann vom Willy-Brandt-Kreis eine kurzen Ansprache.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Genossinnen und Genossen,
ich heiße Sie hier an dieser herrlichen Miniatur der berühmten Skulptur Willy Brandts passend für einen Friedensnobelpreisträger im Innenhof des Sitzes der Deutschen Stiftung Friedensforschung herzlich willkommen.
Heute vor einhundert Jahren kam unter widrigsten Bedingungen jener Mensch zur Welt, den der konservative Historiker Hans-Peter Schwarz die „sozialdemokratische Lichtgestalt des 20. Jahrhunderts“ nannte. In der Tat hat keiner nach August Bebel die mittlerweile 150 Jahre alte SPD so lange geführt und auch geprägt wie er. Er wurde der erste sozialdemokratische Kanzler der BRD und mit ihm erzielte die SPD in der legendären Wahlschlacht von 1972 das beste Wahlergebnis aller Zeiten.
Aber solche Erfolge allein reichen für das Begreifen der außerordentlichen Stellung dieses Politikers aus Leidenschaft, den man sich anders als aktiven Politiker gar nicht vorstellen kann, nicht aus. Seine Lebensspanne umfasst das kurze 20. Jahrhundert vom Ersten Weltkrieg bis zum Ende der Teilung Europas und Deutschlands. Sein Leben wurde die leidvolle und abwechslungsreiche Geschichte dieser Zeit geprägt, aber er hat sie auch entscheidend mit gestaltet.
Seine frühen politischen Aktivitäten in der sozialistischen Arbeiterjungend brachten ihn nicht nur nahezu von Kind auf in den Widerstand zu den Nazis, er musste für sein politisches Engagement schon früh einen hohen Preis zahlen. Er war noch nicht einmal zwanzig Jahre alt, als er nach der Machtergreifung der Nazis bis zur Befreiung von dieser Mörderbande seine Heimat ins skandinavische Exil verlassen musste.
Es war ihm freundlich gesonnen, dieses Exil wurde ihm zur zweiten Heimat und hier lernte er Politik neu, weniger dogmatisch, weltoffener, freier und mit Mut zum Kompromiss. Seine Autobiografie über diese Zeit trägt den treffenden und knappen Titel „Links und frei“. Eine gerechte Gesellschaft, die jedem die Chance bietet für ein Leben in Freiheit, das wird sein Credo, sein Verständnis von einem demokratischen Sozialismus.
Wie alle heimgekehrten Emigranten nach dem Ende der Naziherrschaft musste auch Willy Brandt erfahren, dass er in seiner Heimat nicht nur mit offenen Armen aufgenommen wurde. Wegen seines Exils und – heute noch unbegreiflicher – wegen seiner unehelichen Geburt wurde er nicht nur von der Rechtspresse, sondern auch von honorigen CDU-Politikern wie Konrad Adenauer öffentlich durch den Schmutz gezogen.
Auch als sich die Deutung seiner Vita zu seinem Gunsten wendete, hat Brandt anderen, deren Lebensweg anders verlief, deswegen nie einen Vorwurf gemacht und stets daran erinnert, wir seien nicht als Helden geboren und wohl zu nennen seien solche Zeiten, die keine Helden benötige.
Der Publizist Johannes Gross hat einmal geschrieben, Adenauer wurde respektiert, aber Brandt wurde verehrt, sogar geliebt und auch gehasst, nur gleichgültig gelassen habe er niemanden. Dabei war er kein Polarisierer, sondern im Gegenteil einer der versöhnen und zusammenführen wollte. Und er war einer, dem viele Menschen das abnahmen und dem das dann auch gelang.
Er kämpfte in den 50er und 60er Jahren als Regierender Bürgermeister an vorderster Front im Kalten Krieg für die Freiheit Berlins. Er war ein Antikommunist, aber nicht wie viele andere, denn wie er selbst einmal sagte, sei zwar jeder Demokrat ein Antikommunist, aber deshalb noch lange nicht jeder Antikommunist ein Demokrat.
Als dann in den sechziger Jahren eine nachwachsende unruhige Jugend ebenfalls das kulturelle Unheil dieses Unterschlupfes des Antikommunismus unter die Flagge der Demokratie erkannte und anprangerte, gehörte Brandt zu jenen, die wenigstens zuhörten. Und er unterschied sich wohltuend von seiner und den vorhergehenden Generationen, die nur autoritär, aber keine Autoritäten waren dadurch, dass er dagegen durch seinen Lebensweg und sein Handeln zwar eine Autorität, aber eben nicht autoritär war.
Trotz seiner nur viereinhalb Jahre währenden Kanzlerschaft geht Brandt als der Politiker der inneren Reformen, des definitiven Abschieds von der Ära Adenauer in die Geschichte ein. Vor allem aber als Politiker, der den Mut fand, die Nachkriegsrealitäten anzuerkennen und das Werk der Versöhnung und des Vertrauens auch zu unseren Nachbarn im Osten glaubwürdig in die Wege zu leiten. Für diese seine Friedens- und Entspannungspolitik wurde er nicht nur schon 1971 mit dem Friedensnobelpreis honoriert, er durfte mit dem Fall der Berliner Mauer und der Vereinigung der beiden deutschen Staaten einen seiner wohl innigsten Wünsche als das späte Resultat seines Wirkens erleben.
Aber sein Aktionsradius reichte noch viel weiter. Als Präsident der Sozialistischen Internationale stieg er – wie man ironisch anmerkte – zur dritten Weltmacht auf. Was ihm da natürlich an faktischer Macht fehlte, kompensierte er zum Teil durch sein moralisches Gewicht. Das kam auch in seiner Tätigkeit als Vorsitzender der Nord-Süd-Kommission zum Tragen, die Frieden und Gerechtigkeit in der Welt zusammendachte und unter dem Titel „Das Überleben sichern“ eine neue Sicht der Weltprobleme und Entwicklungspolitik präsentierte.
Überlagert von der Aufrüstungsdebatte in den achtziger Jahren, bot er dem Amerika Reagans die Stirn und warnte vor den Gefahren durch immer neue und gefährlichere Atomwaffen Sicherheit schaffen zu wollen. In der ihm eigenen Fähigkeiten so etwas in einen Satz zu fassen, verkündete er, dass der Frieden nicht alles sei, aber ohne Frieden alles nichts.
Als seine größte politische Leistung sah er in typischer Bescheidenheit, seinen Beitrag dafür, dass Deutschland und Frieden wieder zusammen gedacht werden könnten.
Es ist keine dem Anlass geschuldete Übertreibung, wenn man sagt, dass kein deutscher Politik en vergleichbares Ansehen in der Welt geniest und keiner mehr dafür gleistet hat, Deutschlands ansehen in der Welt zu besseren zu heben.
Allein dafür sollten wir diesem ebenso schwierigen wie faszinierenden Menschen und Politiker immer wieder dankbar sein. Sollte er wirklich hoch droben auf jener Wolke schweben, wohin ihn seine kleinkarierten Kritiker als „Willy Wolke“ immer schon katapultierten wollten, und seine Partei beobachten, könnte es sein, dass wir ihm mit dem Mitgliederentscheid als Beitrag zu „Mehr Demokratie wagen“ ein kleines Geburtstagsgeschenk gemacht haben. Ob im Ergebnis, ist nicht entscheidend, aber als gelebte Demokratie haben wir es gern gemacht.
Lieber Willy, zum 100. versprechen Dir Deine Indianer, dich als großen Häuptling stets zu ehren und in Erinnerung zu behalten. Herzlichst Dein Willy Brandt-Kreis.